"Risiko"-Variante: Ein Brettspiel, das nicht vergisst
Generationen von Spielern haben bei "Risiko" Kriege ausgefochten. Doch spannender als das Original ist eine Neuauflage: Hobby-Generäle können Länder verseuchen und Karten zerreißen. Jede Entscheidung verändert das Spiel für immer.
Warum musste Jonas auch die dritte Rakete auf den Nahen Osten werfen? Nun mussten wir das Fach mit der Aufschrift "Nur öffnen, wenn drei Raketen bei einem Angriff verwendet werden" aufmachen. Und was darin verborgen war, hat unsere Welt dramatisch verändert - auf eine Art, die ich hier nicht verraten will. Klar ist aber: "Risiko Evolution" ist die wohl intensivste Variante des Brettspielklassikers.
In der Neuauflage aus dem Jahr 2011 sind diverse versiegelte Umschläge und Fächer zu finden, deren Inhalt man erst kennenlernt, wenn etwas Bestimmtes im Spiel passiert. Diese Begierde, herauszufinden, was dort versteckt gehalten wird, macht den größten Reiz aus.
Jede Veränderung, die mit den Päckchen zusammenhängt, ist permanent: Was in einer Partie passiert, wirkt sich auf alle folgenden aus. Wer zum Beispiel einen Munitionsmangel-Sticker auf Nordafrika klebt, um einem Gegner zu schaden, muss damit leben, dass der Sticker auch in späteren Partien noch auf dem Brett ist - und dann womöglich einem selbst das Leben schwer macht.
Nach und nach dürfen die Spieler zudem Kontinente umbenennen - Australien heißt auf meinem Brett "Sackhaar" -, sowie Klein- und Großstädte gründen. Diese tragen dann solch illustre Ortsbezeichnungen wie "Schokostadt" oder "Honki". Die grundlegenden "Risiko"-Regeln bleiben erhalten, werden aber zum Beispiel durch Raketen und Fraktions-Boni erweitert. Mit jedem geöffneten Päckchen kommen neue Regeln und andere Überraschungen hinzu.
Raketen auf Schokostadt und andere Überraschungen
2012 erhielt Risiko Evolution den "Golden Geek Award for Innovation". Tom Vasel, ein prominenter Brettspiel-Tester der Szene, sagte SPIEGEL ONLINE, dass die Neuauflage des Klassikers eines der innovativsten Spiele der vergangenen Jahre sei.
Rob Daviau, der Entwickler des Spiels, war zwar schon vor "Evolution" mit über 60 Spielen eine Szenengröße, aber erst das Spiel, das nicht vergisst, machte ihn wirklich berühmt: "Es ist das einzige, wofür die meisten Leute mich mittlerweile kennen", sagt er, fügt dann jedoch hinzu: "Aber besser berühmt zu sein für eine Sache, als für gar keine."
Die Idee für das Konzept kam Daviau bei einer Partie "Cluedo" - das ist das Spiel, bei dem der Mörder auf einer Diner-Party gefunden werden muss. "Warum wird Colonel Mustard eigentlich immer wieder eingeladen?", fragte sich Daviau. "Die letzten drei Male hat er immer wieder Leute umgebracht. Durch Zufall war er die letzten Runden einfach der Mörder." Daviau wollte für die "Cluedo"-Charaktere ein Vorstrafenregister einführen, das von Spiel zu Spiel fortgeführt wird. Hersteller Hasbro meinte: "Interessant, aber seltsam." Zu seltsam. Daviau legte das Konzept beiseite.
Sechs Monate später überlegten die Hasbro-Entwickler, wie man "Risiko" aufpeppen kann. Daviau brachte sein Konzept vor und dachte: "Das könnte funktionieren." Anderthalb Jahre später und nachdem Hasbro "etwa fünf Mal", so Daviau, die Entwicklung verworfen hatte, kam das Spiel schließlich 2011 auf den Markt. "Ich dachte, es würde total in die Hose gehen", erinnert sich der hauptberufliche Spielentwickler. Hasbro ist eher für seine Familienspiele bekannt, doch "Risiko Evolution" zielte auf ernsthafte Spieler ab, auf sogenannte Core-Gamer.
Alle Entscheidungen sind permanent
Tatsächlich reagieren manche Core-Gamer, die ihre Spielkarten in Folie packen, damit diese keine Fettflecken abbekommen, ungehalten auf Anweisungen wie "Zerreißen Sie diese Karte. Sie wird nicht mehr gebraucht". Einige kauften das Spiel deswegen nicht, andere tauschten sich in Internet-Foren darüber aus, wie man die Komponenten nachhaltig gestalten kann.
"Für mich ist es dann aber nicht mehr Risiko Evolution", sagt Daviau. "Das Herz des Designs ist: Alle Entscheidungen sind permanent, man kann nicht zurück. Wenn man das aushebelt, verliert das Spiel seinen Effekt." Auf der anderen Seite halten viele Spieler Daviaus Idee für genial. Sie stellen die Entwicklung ihrer Brettspiel-Welten online, bieten Fan-Erweiterungen zum Download an und basteln Video-Trailer.
Daviau hat mit "Evolution" eine eigene Gattung erschaffen: "Risiko" ist bislang der einzige Vertreter der "Legacy Games" ("Vermächtnis-Spiele", abgeleitet vom englischen Titel "Risk Legacy"), gerüchteweise versuchen sich derzeit auch andere Designer an ähnlichen Titeln.
Legacy-Variante von "Pandemie" in Arbeit
Daviau selbst arbeitet momentan an zwei weiteren Legacy Games, ihre Erscheinungsdaten sind noch offen. In "Seafall" starten die Spieler an einer Küstenlinie und erkunden als Seefahrer nach und nach Gewässer und Inseln. Zudem hat er sich mit Matt Leacock zusammengetan, um eine Legacy-Variante für das mehrfach ausgezeichnete "Pandemie" zu entwickeln - ein kooperatives Brettspiel, bei dem man als Seuchenbekämpfer Epidemien auf der ganzen Welt eindämmen und verhindern muss.
Wem dieser Artikel übrigens neugierig auf "Risiko Evolution" gemacht hat, der hat es nicht leicht, das Spiel zu besorgen. Der deutsche Kooperationspartner Heidelberger Spieleverlag hat die Produktion des Titels eingestellt, die deutsche Version kostet auf Plattformen wie Amazon oder Ebay über 100 Euro. Die englische Variante "Risk Legacy" dagegen ist noch immer für etwa 40 bis 60 Euro zu haben. Wenig Sinn ergibt es leider, auf eine günstige Gebrauchtversion zu hoffen: Vermutlich hat ja nicht nur Jonas die dritte Rakete geworfen.
LG
Stefan
Risiko Evolution: Ein Brettspiel, das nicht vergisst
Moderator: Zockers